Es gibt gläubige Menschen, die tragen ein Leben lang Armbänder mit der Aufschrift "What would Jesus do?" am Handgelenk. In ihrer Ratlosigkeit wenden sie sich an Gottes Sohn und hoffen auf eine Antwort von oben. Es ist mir ein bisschen peinlich, das zuzugeben, aber ich stelle Fragen im Stillen an Lady Di. Und wirklich, es hilft mir – in banalen Angelegenheiten genauso wie in wichtigen. Welche Jacke soll ich anziehen, wenn ich gleich mit meinem Hund rausgehe? Diana, Princess of Wales, geborene Diana Frances Spencer, antwortet: "Barbour-Jacke!" Soll ich Sonderpädagogin werden und mit Kindern arbeiten? Diana: "Geh dahin, wo du helfen kannst!" Kids oder Job? Diana: "Familie ist das Wichtigste im Leben!" Kleid oder Rock? "Jeans und Sweatshirt!"
Seit Lady Di bei einem tragischen Autounfall starb, heute vor genau fünfundzwanzig Jahren, spiele ich dieses Gedankenspiel. Lange Zeit habe ich niemandem davon erzählt. Als es losging, war ich erst 10 Jahre alt. Ich dachte, die anderen würden mich für verrückt halten. Später erschien es mir pietätlos. Schließlich wähnte ich mich für solche Spielchen für zu erwachsen. Nach 25 Jahren ist dies nun also eine Offenbarung. Wenn andere ihre Mutter anrufen, spreche ich zur Königin der Herzen.
Ich weiß noch genau, wie ich in der südhessischen Provinz mit meinen beiden Geschwistern beim Frühstück saß, und aus dem Radio die Worte tönten: "Nach der Flucht vor Paparazzi verunglückte Prinzessin Diana heute Nacht tödlich in einem Pariser Autotunnel." Ich hielt den Atem an. Danach saß ich Woche für Woche über den Stern gebeugt, den meine Eltern damals im Abo hatten, meine Tränen tropften auf jedes abgedruckte Diana-Foto.
Obwohl ich noch so jung war, spürte ich die Größe des Ereignisses. Die Beerdigung verfolgte ich mit meiner ganzen Familie im Fernsehen. Es waren die Neunziger, die Einschaltquoten waren gigantisch. Insgesamt schauten rund zwei Milliarden Menschen zu. Meine Hände zitterten, als ich den Ton lauter stellte. Der Sänger Elton John spielte Candle in the Wind und zum ersten Mal begriff ich, wie wichtig es ist, Englischvokabeln auch wirklich zu lernen, wenn man verstehen will, was in der Welt so passiert. Die Mütter meiner Freundinnen trugen in den Jahren danach noch lange Dianas Frisur, schlüpften in Loafer von Tod's, zum Hochzeitstag wünschten sie sich eine Uhr von Cartier. Alles Markenzeichen der verstorbenen Prinzessin.
Schon vorher wurde Dianas Stil bewundert und von Frauen auf der ganzen Welt kopiert. Blazer zur Jeans, Strickpullover über der Bluse, große Kragen, kleine Gesten. Ich fing an, jeden Schnipsel zu ihr und ihren Outfits zu sammeln. Durch sie lernte ich die Namen großer Modehäuser kennen: Versace, Dior, Chanel. Später studierte ich Modejournalismus. Dianas Style zu studieren, hatte eine Leidenschaft in mir geweckt.
Wenn ich heute darüber nachdenke, warum ihr modischer Einfluss auf viele Frauen so einzigartig war, lag es nicht an den prachtvollen Kleidern, die sie bei wichtigen Anlässen trug. Sondern an ihren Outfits, wenn sie als Mutter, Frau und Mensch sehr bei sich war; wenn sie – zumindest wirkte es so – Spaß hatte. Buntes geflochtenes Haarband beim Skifahren, Mickey-Mouse-Sweatshirt und Jeans beim Herumtollen mit Harry und William, Jeans in die Stiefel gesteckt beim Pferderennen.
Ihr Look war nie radikal, aber er hatte immer Brüche – und verkörperte Werte. Dianas Haare waren kurz, ohne wirklich kurz zu sein. Die Art, wie ihre Haare fielen, machte sie selbstbewusst und sensibel zugleich. Wenn sie einfach nur ein T-Shirt trug, funkelte trotzdem irgendwo ein goldener Armreif. Aber in der Kombination mit einem lässigen Shirt wirkte es nie prahlerisch. Dianas Outfits verkörperten einerseits Haltung, waren aber flexibel und offen andererseits. Es ist genau das, was unseren oft so gespaltenen Gesellschaften heute fehlt: sich treu bleiben und trotzdem zum Kompromiss bereit sein.
Lady Di begegnete Menschen stets empathisch, mitfühlend und auf Augenhöhe, sie konnte ihre öffentlichen Auftritte für gute Zwecke nutzen, ohne dabei aufdringlich zu wirken. Weder in der Erscheinung noch in der Art. Zeigte Diana sich mit einem Hermès-Shopper, eine der wohl teuersten Handtaschen der Welt, dann knautschte das Leder beim Tragen. Dabei entstand nicht der Eindruck, sie schätze Luxus nicht wert, sondern dass es eben gerade Wichtigeres zu tun gebe. Kinder retten zum Beispiel. Oder ihre Ehe.
Dass Letzteres nicht klappte, ließ sie nie als Versagerin erscheinen, ganz im Gegenteil. Trotz Bulimie, Depression, Scheidung: am Ende waren es Bilder von ihr, die blieben, auf denen sie in einem Leoprint-Badeanzug ins Meer hüpft. Es bestärkte Frauen weltweit darin, ihren eigenen Weg zu gehen.
Dass Diana mir gefühlt wirklich ein Zeichen sendet, wenn ich Stoßgebete und Fragen in ihre Richtung werfe, wissen zwar mittlerweile einige engste Vertraute, trotzdem habe ich mir Gedanken darum gemacht, dass mich Familie und Freunde nach diesem Text für komplett irre halten könnten. Was Fremde oder Leserinnen wiederum denken, sollte mir übrigens egal sein – sagt mir Diana. War es ihr ja auch.